A Model World
AMW 2021 Map

Das deutsche Bundesland Nordrhein-Westfalen erschien uns mit seiner Bergbauvergangenheit und seinem Schwerpunkt auf technischer Innovation ein reiches Terrain für diese Recherche zu neuen technologischen Lösungsansätzen zum Klimawandel. Während unserer Residenz besuchten wir frühere Industrieanlagen, die sich als öffentliche Parks neu erfunden hatten, ebenso wie aktive Braunkohlegruben und Forschungsparks. Wir sprachen mit Wissenschaftler:innen, Forscher:innen, Künstler:innen, Kurator:innen und Aktivist:innen aus der Region. Diese Feldstudien ließen die enorme Aufgabe des Wandels weg von fossilen Brennstoffen spürbar und real erscheinen. Sie wies zudem Spuren der Inspiration zu Überlegungen auf, wie dieser Übergang positive Veränderungen beschleunigen könnte. Diese Region und ihre Bewohner:innen wurden physisch, kulturell und wirtschaftlich durch 150 Jahre des Bergbaus verändert und versuchen nun, sich neu zu erfinden, die ökologischen Schäden zu reparieren und neue Wege zu einem guten Leben nach dem Bergbau zu finden. Diese Landkarte ist eine Zusammenstellung unserer Feldnotizen und Überlegungen.

Der Tetraeder in Bottrop
September 1, 2021
Bottrop, DE

Im gesamten Ruhrgebiet finden sich großräumige Installationen und sie stehen zumeist erhöht auf den zahlreichen Abraumhalden der Region (den Hügeln, die durch die Anhäufung von Erde und Gestein aus den früheren Gruben entstanden sind). 

Der Tetraeder befindet sich auf der Schlackenhalde an der Bottroper Beckstraße. Es wurde 1995 als Teil der IBA Emscherpark gebaut. Dieses Wahrzeichen der Stadt Bottrop ist eines der beliebtesten Denkmäler im Ruhrgebiet und ein gern besuchter Aussichtspunkt. 

Auf dem Weg zu der Installation kann man eine Reihe von Informationstafeln studieren, die Verbindungen zwischen dem Mythos von Ikarus, dem Tetraeder und den Träumen der Bergleute unter Tage herstellen. Mich überrascht diese Parallele ein wenig und ich finde sie vielleicht sogar belanglos, wenn man über das Alltagsleben und die möglichen Träume der Bergleute in dieser Zeit nachdenkt. 

Die Stahlstruktur ist 210 Tonnen schwer und 60 Meter hoch. Sie ruht auf vier Stahlbetonsäulen, die sie vom Boden trennen. Wenn der Tetraeder nachts beleuchtet ist, scheint er zu schweben. Über mehrere Treppen erreicht man Aussichtsplattformen, die in unterschiedlicher Höhe an der zentralen Struktur angebracht sind. So kann man bei 18, 32 und 38 Meter Höhe jeweils einen 360°-Panoramablick genießen. 

Wenn man oben auf der Konstruktion steht, bietet sich ein spektakulärer Blick über die gesamte Emscherregion und das Ruhrgebiet. Man sieht den Gasometer in Oberhausen, die Arena Auf Schalke in Gelsenkirchen, alle Abraumhalden der Gegend und die Skyline von Essen. In der Ferne kann man Duisburg und sogar Düsseldorf sehen.

Am Tag unseres Besuchs ist der Himmel frei. Wir sind umgeben von den Überresten des industriellen Ruhrgebiets. Die ursprünglich ebene Landschaft wird nun von kleinen, identisch aussehenden Hügeln unterbrochen. Es ist beeindruckend, sich vorzustellen, dass diese Tonnen Erde aus den Tiefen unter der Erde gerissen wurden, durch die schweißtreibende Arbeit von Männern, über viele Jahrzehnte hinweg. Ein paar Kilometer entfernt sieht man nicht weniger als fünf alte Zechen, inklusive der zahlreichen Gebäude, die für Gewinnung, Sortieren und Reinigung der Kohle nötig sind. Besonders beeindruckend ist natürlich die Zeche Zollverein, die zu den größten Förderstätten Europas gehörte. Und auch heute noch stoßen viele aktive Fabriken ihren dichten Rauch in die Luft. 

Dieser Aussichtspunkt erlaubt uns einen Überblick über eine surreale Landschaft, die durch die industrielle Revolution verunstaltet wurde. Sie wird hier und dort von wunderschönen Gegenständen aus einer sterbenden Industrie unterbrochen, die sich bemüht, sich neu zu erfinden. Zwischenräume zwischen den Ruinen der industriellen Ära von gestern verwandeln sich in eine neue, aber ganz ähnliche Schicht aus Fabriken.  

Am Horizont erkennen wir eine riesige Halle, die einen künstlichen Skihang beherbergt. Wenn Skilaufen vor wenigen Jahren noch ein Luxus für die Elite war, ist der Besuch einer Kunstschneepiste in einem Schuppen heute ein bezahlbares und zugängliches Freizeitvergnügen für die lokale Bevölkerung. Der künstlich produzierte Schnee ist Resultat einer Kombination aus vielen verschiedenen Technologien. Die Nachkommen der Bergleute können zwar nicht vom Tetraeder aus den Himmel stürmen, aber sie können sich immerhin künstliche Schneehügel herabstürzen.

Alle Doerfer Bleiben
August 29, 2021
Erkelenz, DE

An diesem Tag hätte das Wetter nicht passender sein können. Es war nicht nur schlecht, sondern absolut grauenhaft: ein grauer, tiefliegender Himmel, ein feiner, klebriger Nieselregen, eine feuchte Kälte, die bis auf die Knochen frieren lässt, egal, was man trägt. Martin, unser Führer und Fahrer an diesem Tag holte uns von unserem fragwürdigen Airbnb in Essen-Süd ab. Wir fuhren zu unserem Treffen mit Antje Gerlach, die in Erkelenz lebt, ungefähr eine Stunde Autofahrt nach Westen. Die Fahrt von Essen nach Erkelenz stellte uns auf den Tag ein, der vor uns lag; eine Abfolge von vollen Autobahnen, die vegetationslose Industrielandschaften durchkreuzen. Gegen Ende der Fahrt verläuft die Autobahn über einige Kilometer an der Nordseite des Tagebaus Garzweiler entlang. Von der Autobahn aus taucht der Tagebau plötzlich auf und erscheint surreal. Seine Grenzen sind nicht absehbar. 

Wir kommen bei Antje an. Es ist ein hübsches, warmes und bescheidenes Haus mit einem gelben Kreuz. Sie bietet uns Kaffee in ihrer Küche an; ihr Mann hört unserem Gespräch vom Sofa aus zu und mischt sich gelegentlich ein. Antje gehört zu einer Vereinigung namens „Alle Dörfer Bleiben“, einer aktivistischen Gruppe, die Bewohner:innen aus verschiedenen Dörfern der Umgebung zusammenbringt, die zerstört werden sollen, weil sie der Ausweitung von Garzweiler im Wege stehen. Mit Demonstrationen, Flyern und verschiedenen Aktionen wendet sich „Alle Dörfer Bleiben“ an die Kommunen und die Medien, im Versuch, das Vorrücken des Tagebaus zu stoppen. Über ein Dutzend Dörfer sind für den Abriss in den nächsten Jahren vorgesehen und über 35 Dörfer wurden bereits abgerissen und umgesiedelt.  

In den Gesprächen, die wir mit den Menschen in NRW führten, wurde der Bergbau zumeist als eine Sache der Vergangenheit gesehen, als eine stolze, aber nicht unumstrittene Periode in der Geschichte des Landes und seiner kulturellen Geschichte. Der Tagebau in Garzweiler jedoch produziert zusammen mit dem nahegelegenen Tagebau in Hambach noch 100 Millionen Tonnen Braunkohle pro Jahr, der am wenigsten energieeffizienten Kohlensorte des Planeten und somit diejenige, die am meisten Verschmutzung verursacht. Deutschland hat sich verpflichtet, sich bis 2038 vollständig von der Kohlekraft zu verabschieden, die heute noch 30% der nationalen Energieversorgung ausmacht. Braunkohleminen wie Garzweiler und Hambach versuchen daher fieberhaft, vor dieser Deadline noch so viel Kohle wie möglich zu gewinnen. 

Der Tagebau in Garzweiler
August 29, 2021
Garzweiler, DE

Wir verlassen Antjes gemütliches Haus und fahren zu einem Aussichtpunkt, von dem aus man den Tagebau überblicken kann. Diese Fußgängerbrücke liegt ein paar Kilometer entfernt und bietet Besucher:innen einen atemberaubenden Blick auf Garzweiler. Sie sieht aus wie eine Sehenswürdigkeit für Touristen; heroische Informationstafeln des Energieversorgers RWE betonen die technologischen Wunder, die wir vor uns sehen. 

Der Himmel erscheint noch niedriger und grauer als am Morgen. Ein leuchtender, weißer Heiligenschein und dichter Nieselregen erfüllen die Szenerie mit einer unheimlichen Dunkelheit. Bald sind wir durchnässt und frieren, gleichermaßen wegen des Regens als wegen des Schreckensbilds vor unseren Augen: ein Loch, so riesengroß, dass man den Hintergrund oder den Umriss nicht einmal erraten kann. 

Ein riesiger Bagger gräbt langsam und unaufhörlich. Dieses Juwel des Maschinenbaus ist „die größte Maschine, die je auf der Erde gebaut wurde“ – eine Errungenschaft menschlicher Erfindungskraft, die hier dazu genutzt wird, alles zu zerstören, was in ihrem Weg liegt. Mitunter scheint die Landschaft bewegungslos dazuliegen. Wegen des Regens kann man nicht sehr weit sehen.  

Wenn man einen solchen Tagebau zum ersten Mal sieht, kann man nicht umhin, von der beängstigenden Schönheit einer Landschaft beeindruckt zu sein, die so anders ist, als alles, was man kennt und dem Terrain eines fernen Planeten gleicht. Nach einigen Minuten jedoch, wenn der Verstand den Inhalt hinter der Form verstanden hat, wird man angesichts dieser dystopischen Vision unweigerlich von einer tiefen Trauer ergriffen. Der Umweltwissenschaftler Rox Nixon theorisierte dieses Phänomen als „Slow Violence – langsame Gewalt“. Diese Gewalt ist so still, so entfernt und langsam, dass sie dem Verstand nicht begreiflich ist. Es ist beinahe unvorstellbar, dass wir hier vor der größten Kohlenmine Europas stehen. Tag und Nacht, pausenlos fressen sich dieser Bagger und ein Dutzend derselben Art durch die Erde, auf ihrer Suche nach Kohle. Diese Braunkohle ist die schmutzigste und am wenigsten energieeffiziente Kohle der Erde. Weil sie so nah an der Oberfläche vorkommt, muss der Tagebau sich horizontal ausbreiten und zerstört dabei wahllos alles, was in der Nähe liegt: Dörfer, Straßen, Kirchen, Schulen, Geschäfte. Er lässt eine Ödnis zurück, eine Art Friedhof.

Norberts Hof
August 29, 2021
Keyenberg, DE

Norbert Winzen lebt in Keyenberg, einem im 9. Jahrhundert gegründeten Dorf, das als nächstes für die Expansion von Garzweiler zerstört werden soll. Norbert wurde ohne Absicht zum Aktivisten und lokalen wie nationalen Sprecher der Bewegung gegen den Tagebau von Garzweiler und Hambach. Als Sohn eines Landwirts und von Beruf Ernährungsberater erbte er zusammen mit seinem Bruder den Bauernhof der Familie, der heute Wohnsitz von drei Familien ist. 

Norbert und seine Familie kämpfen seit fast 35 Jahren gegen den Energiekonzern RWE. Sie leben mit der ständigen Drohung, dass sie enteignet und ihr Bauernhof zerstört werden könnte. Norbert ist freundlich, ruhig und gefasst und er kommuniziert klar und überzeugend, wodurch er bei Medienvertreter:innen beliebt wurde. Schnell hatte er verstanden, dass der beste Weg, sein Zuhause zu retten, sein würde, seine Geschichte in den Medien zu erzählen. Er hat den Kampf satt, aber seitdem er zum Sprecher und sein Hof zum Sinnbild und zum Versammlungsort für Veranstaltungen verschiedener Gruppen geworden ist, ist dieser Kampf zu etwas geworden, das über ihn und seine eigene Geschichte hinausgeht.   

Er erzählt uns, dass in wenigen Tagen und im Vorfeld zu wichtigen Wahlen in Deutschland Greta Thunberg seinen Bauernhof besuchen wird, nachdem sie sich mit Aktivist:innen getroffen hat, die einen neuen Ort des Widerstands ein paar Kilometer entfernt vor dem Tagebau eingerichtet haben. Trotz seiner Rolle als Gallionsfigur gesteht er, dass er sehr gerne ein Leben „wie jede:r andere“ hätte, wenn er die Wahl gehabt hätte. Und dass er nie in diesen Kampf verwickelt worden wäre, wenn sein Haus an einem anderen Ort gestanden hätte.  

Wir verbringen eine gute Stunde mit ihm und besichtigen in dem trüben Wetter seinen Hof. Im hinteren Bereich, quer durch einen schmalen Streifen mit ein paar Kühen, sehen wir ein riesiges Loch, eine offene Wunde gleich am Ende seiner Wiese. Es ist ein merkwürdiges Gefühl, den Rand eines gigantischen Tagebaus „gleich im eigenen Garten“ zu wissen. Jeden Moment könnte er Norberts Hof und die Geschichte seiner Familie verschlucken. 

Norbert hofft, dass die bevorstehenden Wahlen dazu führen, dass das Enddatum des Tagebaus, derzeit 2038, sich ändert. Wenn es um wenige Jahre nach vorne verlegt wird, bleiben sein Dorf (was davon übrig ist) und die umliegenden Dörfer verschont. Er ist einer der wenigen Bewohner:innen von Keyenberg, die sich weigern, nach Keyenberg (neu) umzusiedeln. Dies ist ein neues Dorf mit normierten Gebäuden, wohin RWE diejenigen Bewohner:innen umsiedelt, die freiwillig gehen oder die angesichts der kostspieligen und endlosen Gerichtsverfahren aufgegeben haben.

Lutzerath
August 29, 2021
Lutzerath, DE

Nach einigen Kilometern halten wir an einer Kreuzung. Zur rechten Seite ist am Horizont nichts zu sehen. Wir fühlen uns wie mitten auf einer Baustelle. Wir blicken auf Immerath, früher ein Dorf mit 230 Bewohner:innen, das 2018 inklusive seiner Kirche aus dem 19. Jahrhundert vollständig zerstört wurde, um Platz für den Tagebau zu machen. Von dem Dorf ist nichts mehr  zu sehen, kein Kieselstein, kein Busch, nicht die geringste Spur menschlichen Lebens, das sich hier jahrhundertelang abgespielt hat. Sogar der Friedhof wurde umgegraben, verlegt und dann dem Erdboden gleich gemacht. 

Unser letzter Halt ist in Lützerath, oder dem, was davon übrig ist. Ein Landwirt hat sich den Enteignungsverfahren von RWE jahrelang widersetzt und dann als letztes Mittel eine Gruppe von Aktivist:innen auf sein Land eingeladen. Die Aktivist:innen haben gegenüber dem Tagebau mehrere Baumhäuser gebaut und haben vor, den Winter über dort auszuharren. Wenige Wochen nach unserem Besuch sollte die Polizei berechtigt werden, den Landwirt sowie alle anderen, die sich auf seinem Land aufhielten, zu entfernen und den Weg für die Bulldozer zu räumen. 

Nahezu alle Straßen wurden unterbrochen und wir müssen einen Umweg machen, um von Keyenburg nach Lützerath zu gelangen. Die Widerstandszellen geografisch voneinander zu isolieren ist eine der Strategien, die die Menschen zum Aufgeben bringen. RWE hat genügend Zeit, Geld und politische Macht und kann einfach abwarten. Gegenüber des Tagebaus befindet sich ein Informationsstand mit vielen Postern und Bannern von „Alle Dörfer Bleiben“. Eine Reihe großer Gebäude werden von Sicherheitskräften bewacht, die von RWE bezahlt werden und verhindern sollen, dass sie von Aktivist:innen besetzt werden. Im Zentrum des Bauernhofs liegt ein Camp, wo ungefähr 20 Menschen kommen und gehen. Manche bauen Holzhäuser auf einem großen Feld als Unterbringung für die Besucher:innen, die bald als Verstärkung erwartet werden, andere sind in der Gemeinschaftsküche beschäftigt, eine kleine Gruppe unterhält sich an einem Tisch. Schon jetzt hängen 15 kleine Häuser in den Bäumen, die dem Tagebau gegenüberstehen. Hier steht die neue Front des Widerstands. Wir frieren und sind völlig durchnässt. Es ist ein schwieriger Tag, aber er lässt uns die menschlichen Geschichten hinter dem abstrakten Kampf erkennen. 

Bevor wir Antje nach Hause bringen, machen wir einen Abstecher nach Keyenberg (neu). Dieses neue Dorf, von RWE auf unerschlossenem Land gebaut, ist ziemlich bedrückend. Es kommt uns vor, als liefen wir über eine riesige Baustelle, an der alles falsch ist, wie eine nicht besonders gelungene SimCity. Antje erklärt dass der Zusatz (neu) durch RWE von den Schildern im Dorf entfernt wird, wenn das „alte“ Keyenberg völlig zerstört wurde. Als hätte das ursprüngliche Keyenberg nie existiert und wäre aus dem kollektiven Gedächtnis gelöscht worden, damit man so tun könnte, als sei das neue Keyenberg schon immer dagewesen. Wenn Menschen wie Antje und Norbert die endgültige Zerstörung des ursprünglichen Dorfs blockieren, beschweren sich die Bewohner:innen des neuen darüber, dass sie den „Originalnamen“ nicht nutzen können. Die Bewohner:innen von Keyenberg (neu) haben sich mit ihrer Vertreibung, dem Verschwinden ihrer Häuser, Schulen, ihrer Kirche und all ihren Erinnerungen abgefunden und hegen mittlerweile einen Groll auf diejenigen, die noch kämpfen und dadurch ihren Trauerprozess verlängern.

Axel Braun
September 2, 2021
Essen, DE

Wir besuchen Axel Braun in seinem Essener Atelier. Wir sind auf seine Arbeit aufmerksam geworden, weil er 2011 einer der ersten Künstler:innen war, die das EON/RWE Artists in Residence-Stipendium erhielt. RWE ist Deutschlands führender Energieversorgungskonzern.  

Axel entwickelt hauptsächlich mit den Mitteln der Fotografie seine rechercheintensiven Projekte, die sich mit der Zersetzung der Natur beschäftigen und sowohl zeitgenössische als auch historische Landschaften untersuchen. In seinem lichtdurchfluteten Atelier im Zentrum von Essen erzählte er uns von der großen Freiheit, die er während der Umsetzung seines Projekts mit RWE genoss, auch wenn es wegen der kritischen Seite seiner Arbeit im Unternehmen oft zu kontroversen Debatten kam. 

Axel räumt ein, dass es für lokale Künstler:innen schwierig ist, sich mit Themen auseinanderzusetzen, die mit der Kohlegewinnung in Verbindung stehen, die über viele Jahre das schlagende Herz der nordrheinwestfälischen Wirtschaft war und noch immer mit Stolz gesehen wird. Erst seit kurzer Zeit ist er bereit, sich tiefer mit diesen Fragen gleich vor seiner Haustür zu beschäftigen, dabei hat er in der Schweiz, in Italien und Polen schon zahlreiche Projekte zu ökologischen und geologischen Katastrophen realisiert. 

Er zeigt uns Modelle eines Online-Projekts, das er während des Lockdowns begonnen hat, obwohl er keinerlei Vorkenntnisse über Web-Entwicklung hatte. Wir sprechen über die Herausforderungen bei der Arbeit mit diesem neuen Medienformat und seine Freude an Experimenten mit den nicht-linearen, pluralistischen Storytelling-Techniken, die diese neuen Instrumente bieten. 

Bevor wir gehen, zeigt er uns ein Foto, das er kürzlich von dem historischen RWE-Gebäude im Herzen Essens gemacht hat. Das Gebäude wird derzeit „abgebaut“, ein Symbol für das Ende einer Ära. 

Limbecker Platz
August 24, 2021
Essen, DE

Essen wird auch die “Shopping-Stadt” genannt. Die zentrale Fußgängerstraße führt direkt vom Hauptbahnhof zum riesigen Shoppingcenter am Limbecker Platz, in dem sich nicht weniger als 200 Geschäfte auf 70.000 Quadratmetern befinden. 2009 eröffnet, ist es eines der größten Einkaufszentren Deutschlands. 

In der Mitte des Untergeschosses gibt es einen Kinderspielplatz mit dem Thema „Kohle“ zu entdecken. Kinder können dort in Kohlewagen nachempfundenen Wagen vor einer stilisierten Bergbaulandschaft spielen. Am Fuße der Rolltreppen stehen mehrere Statuen, die an das strahlende Zeitalter des industriellen Bergbaus als Quelle von Reichtum und Wohlstand in der Region erinnern.

PACT Zollverein
September 3, 2021
Essen, DE

PACT Zollverein wurde 2002 gegründet und sieht sich als Veranstaltungsort für Tanz, Performance, Theater, Medien und Kunst an der Schnittstelle von Wissenschaft, Technologie und Gesellschaft. In diesem einzigartigen Raum in der früheren Waschkaue der Zeche auf Zollverein ist die Geschichte außerordentlich präsent. Bei der Renovierung des Gebäudes wurden viele Spuren seiner früheren Nutzung bewahrt.  

Bei unserem Besuch sehen wir die früheren Duschen, Schränke und Umkleideräume, die die Bergleute am Ende ihrer Schicht nutzten. Wir bekommen einen Eindruck von der riesigen Anzahl an Arbeitern, die sich zu jeder Tageszeit in dieser Anlage bewegten. 

Der Direktor erläutert uns seine Version eines lebendigen Orts, an dem Experimente, Diskussionen, Workshops und Künstler:innen-Residenzen gefördert werden sollen. PACT setzt sich auf regionaler, nationaler und internationaler Ebene für die Weiterentwicklung von Tanz und Performance als autonome Kunstformen ein. 

Am Ende unseres Besuchs ergibt sich eine offene Diskussion darüber, wie manche dieser Industrieanlagen „museumsreif“ und in ihrer Zeit verhaftet bleiben, und dass es deshalb eine Herausforderung ist, die Dinge lebendig und in Bewegung zu halten.

UNESCO-Welterbe Zollverein
August 27, 2021
Essen, DE

Die Zeche und Kokerei Zollverein ist eine große frühere Industrieanlage. Die erste Zeche an diesem Ort wurde 1847 gegründet und von 1851 bis 1986 wurde dort aktiv Bergbau betrieben. Ein kleiner Teil von Zollverein ist noch heute aktiv und wird von der RAG-Stiftung betrieben. Verschiedene zentralisierte Unterwasserpumpverfahren werden dort überwacht. Jahrzehntelang bildeten Zeche und Kokerei Zollverein zusammen eine der größten Bergbauanlagen in Europa. Seit 2001 ist Zollverein UNESCO-Welterbe. 

Gemeinsam mit den anderen NEW NOW Artists-in-Residence erhalten wir eine ganz besondere Führung über das Zollverein-Gelände. Wir erkunden die verschiedenen Gebäude und die Umgebung mit einem lokalen deutschen Guide, der nebenbei auch Stand-Up-Comedian ist. Wir sind sehr an der Geschichte der Zeche interessiert, an ihrem Betrieb, den Lebensweisen ihrer Arbeiter:innen und ihrer Auswirkung auf Gemeinschaft und Ökosystem des Orts. Die spielerische, heitere Art unseres Guides – immer wieder durch Scherze und Imitationen unterbrochen – schafft einen spannenden Kontrast zu diesem schweren Thema, vor allem wenn es dabei um die Ausbeutung von Menschen und Tieren und die anhaltende Zerstörung der Umwelt geht. 

Wir halten uns während unseres Aufenthalts in Essen hauptsächlich auf Zollverein auf, und zwar gemeinsam mit den anderen NEW NOW-Residents in der früheren Mischanlage der Zeche. Wie viele der früheren Industrieanlagen, scheint Zollverein fester Bestandteil im Leben der Menschen hier zu sein, ein beliebter Ort für Radtouren und den Aufenthalt im Freien. Die Nachbarn führen ihre Hunde auf den „renaturierten“ Wegen spazieren, an deren Rändern Wildblumen, Brombeerbüsche und Schmetterlingspflanzen wachsen, und an den Wochenenden kommen Familien hierher und die Kinder spielen. In verschiedenen sanierten Gebäuden finden regelmäßig Hochzeiten, Konferenzen und Veranstaltungen statt, wahrscheinlich weil Zollverein, zum Teil im Bauhausstil gebaut, eine der architektonisch schönsten Zechen Europas ist.

Urbane Künste Ruhr
September 17, 2021
Essen, DE

Seit 2018 gibt es Urbane Künste Ruhr, eine dezentrale Institution für zeitgenössische Kunst im Ruhrgebiet unter der künstlerischen Leitung von Britta Peters. Im Rahmen der Kulturhauptstadt Europas RUHR.2010 gegründet, arbeitet das Projekt mit örtlichen und internationalen Partnern zusammen und soll Projekte im öffentlichen Raum, Ausstellungen, Künstler:innenresidenzen und Veranstaltungen anstoßen. Ein langfristiges Kooperationsprojekt ist der Emscherkunstweg. 

Besonders gut gefällt uns die Installation des amerikanischen Künstlers Asad Raza, die sich in einer früheren Bankfiliale im Essener Stadtzentrum befindet, im Rahmen der Ausstellung Ruhr Ding Klima im Sommer 2021. Mit Absorption besetzt Raza das gesamte Erdgeschoss an der Ecke einer belebten Fußgängerstraße. Der Raum ist mit Erdreich gefüllt, einem Stoff, der für alles Leben auf der Erde von zentraler Wichtigkeit ist, aber leicht übersehen und missverstanden wird. Über den Ausstellungszeitraum von fünf Wochen kümmert sich ein Team von „Cultivators“ jeden Tag um dieses Erdreich.  

Unter wissenschaftlicher Anleitung wässern und vermessen sie, und fügen der Mischung aus Ton, Sand und Kompost verschiedene Bestandteile zu. Mit dem Ziel, regionale organische und nicht-organische Stoffe zur Anreicherung des Bodens zu verwenden, treffen die Cultivators Entscheidungen über die Menge und Art der „Zutaten“, die hinzugefügt werden sollen: Klärschlamm, Altpapier, Haar, verbranntes Holz, Kakaobohnen. Besucher:innen dürfen einen Leinenbeutel mit der so gewonnenen „Neosoil (Neoerde)“ füllen, um damit ihre Gärten und Schrebergärten zu düngen. Am Abschluss der Ausstellung wird die restliche Erde dem Bochumer Botanischen Garten gestiftet.

Landschaftspark Duisburg-Nord
August 28, 2021
Duisbuirg, DE

Ein nicht besonders sonniger, eher trüber Tag. Und trotzdem war unser Besuch im Landschaftspark Duisburg-Nord fast schon märchenhaft. Man hatte uns überall in NRW gesagt, dass die Region renaturiert werde, dass also natürliche Ökosysteme, die über ein Jahrhundert des Bergbaus und der Industrie unter giftiger Verschmutzung und Umweltzerstörung gelitten hatten, wiederhergestellt würden. Wir haben durchaus Bedenken gegenüber den Methoden, mit denen diese Konzepte umgesetzt werden, aber der Landschaftspark hat uns am meisten überzeugt. 

Der Park befindet sich auf dem Gelände einer früheren Kohle- und Stahlproduktionsanlage, die 1985 aufgegeben wurde und das Gebiet stark verschmutzt hatte. Das Projekt wurde 1991 vom Büro Latz + Partner gestaltet; dabei wurde die industrielle Vergangenheit integriert und nicht etwa ausgelöscht. Die Strukturen und verschmutzten Böden wurden an Ort und Stelle belassen und Phytosanierung wurde als Hauptreinigungsmethode für die giftige Erde verwendet. Außerdem wurden neue und oft überraschende Nutzungen der alten Gebäude gefunden. 

Die Gestalter:innen wollten die Geschichte der ursprünglichen Anlage würdigen – nicht als statisches und verkalktes, historisches Denkmal, sondern als lebendige Erinnerung, die sich bei jedem Besuch verändert und weiterentwickelt. Heute ist diese Brachfläche ein beliebter Ort für Freizeitgestaltung und die Vermittlung von Umweltinhalten sowie ein wichtiger Standort der Artenvielfalt. 

Wenn man durch den Landschaftspark spaziert, kommt man sich fast vor, als erkunde man eine post-dystopische Landschaft, in der die Natur sich die industriellen Ruinen zurückerobert und reintegriert hat: Pflanzentriebe sprießen aus verrosteten Stahlträgern und riesige, fast schon prähistorisch aussehende Kletterpflanzen ranken sich an den Gebäuden empor. Kinder lernen auf alten Gasreservetanks das Klettern, der Gasometer wurde zu einem Tauch-Ausbildungszentrum umfunktioniert und an verschiedenen Orten des Parks finden Fotoshoots und Dreharbeiten statt. All das trägt zu einem surrealen Gefühl bei.

Marxloh
August 28, 2021
Duisburg, DE

Marxloh ist der türkische Stadtteil von Duisburg. Wir besuchen ihn, um herumzuspazieren, ein türkisches Mittagessen zu genießen und den Gemeinschaftssinn der großen türkischen Community zu erleben, die nach Deutschland kam, um in der Kohle- und Stahlindustrie zu arbeiten. Marxlohs Haupteinkaufsstraße ist eine reiche Mischung von Brautläden und Juweliergeschäften und wird mitunter „Deutschlands Brautmodenmeile“ genannt. Zwischen diesen Läden liegen Geschäfte für türkische Delikatessen aller Art, Familienrestaurants und Cafés. 

2021 wurde das 60. Jubiläum des Anwerbeabkommens zwischen Deutschland und der Türkei begangen. Durch die Vereinbarung kamen hunderttausende türkische „Gastarbeiter“ nach Deutschland, um in Zechen und Stahlfabriken zu arbeiten und damit kostengünstige Arbeitskräfte zu liefern, die die Nachkriegswirtschaft des Landes antrieb. Heute leben drei Millionen Menschen türkischer Herkunft in Deutschland und sind damit die größte ethnische Minderheit. Zwischen 1961 und 1973 kamen ungefähr 900.000 Türk:innen nach Deutschland. Das Land lehnte lange die Tatsache ab, dass es ein Einwanderungsland geworden war und meinte, diese Arbeiter:innen würden letztlich in ihre Ursprungsheimat zurückkehren. Gleichwohl hat das Erbe des „Gastarbeiter“-Programms die deutsche Gesellschaft unwiederbringlich verändert.

Bergbau Museum
September 16, 2021
Bochum, DE
Cafe Livres
August 24, 2021
Essen, DE

During our residency, we spent many hours working at Cafe Livres, a bright, warm, and quirky cafe serving strong coffees and good food. When not on site at Zollverein or traveling for a site visit in NRW, Cafe Livres was our home away from home in Essen.

Düsseldorf
September 9, 2021
Alain Bieber from NRW Forum, Düsseldorf

We visit Düsseldorf to catch the Augmented Reality Biennale at NRW Forum and attend the opening of the NRW's exhibition Willkommen im Paradies (Welcome to Paradise). While there, we had lunch with the NRW Forum's Artistic Director, Alain Bieber, who gave us a tour of the museum's beautiful gardens, where the AR Biennale was staged. The subject matter of the Willkommen im Paradies exhibition, which dealt with artistic visions of digitally enabled utopias that emerge as a response to global catastrophes, felt very close to some of our research themes.

Fraunhofer institute
September 10, 2021
Bochum, DE
Thomas Reinsch, head of laboratories at the Fraunhofer institute, site visit of their Bochum facility

It was difficult to visit many factories and research parks during our stay in NRW as most places were not welcoming visitors due to COVID restrictions and many people were working from home if that option was available to them. One place we did manage to visit in person was Fraunhofer IEG in Bochum, where the head of laboratories, Thomas Reinsch, was kind enough to give us a tour.

Thomas specializes in geothermal energy systems and we found out about his lab because it also functions as a demo site for carbon capture, in partnership with the Icelandic program GECO, an EU-funded initiative run by Reykyavik Energy that pairs geothermal energy production with carbon capture in order to offset emissions created during this process.

Thomas's lab is also investigating how old mine shafts might be combined with geothermal energy to provide more energy-efficient heating solutions.

Geopark Ruhrgebiet
Geopark Ruhrgebiet, DE

During the first week of our residency, the NEW NOW team organized an expedition to the Geopark Ruhrgebiet where a team of geologists helped us understand how NRW came to be such a hot spot for coal mining, from a geological perspective. We learned about the Carboniferous era and the mammoth plants and insects that roamed that thrived in that carbon-rich atmosphere, organisms that would eventually form the dense, black coal that this region became famous for. We learned to pay particular attention to rock strata and recognize seams of coal among the layers of sedimentary rock.

They also shared with us a local fable about how coal was first discovered in the region, which is apparently taught to school children even to this day: A young boy who was shepherding a small flock of sheep or pigs got lost on his way home and had to make camp for the night. He built a fire to keep himself and his flock warm and lined the perimeter of the firepit with some black rocks he found on the ground. When he woke up in the morning, he was surprised to discover that his fire was still burning. Variations of this story exist all over the region.

Dortmund
September 3, 2021
Dortmund, DE
Stefan Panhans / Andrea Winkler – The Pow(d)er of I Am Klick Klick Klick Klick and a very very bad bad musical! exhibition at HMKV Hartware MedienKunstVerein, Dortmund
Köln
September 1, 2021
Köln, DE
Judith Röder exhibition at The Temporary Gallery, Koln
Nachtigall
Nachtigall, DE
LWL Industrial Museum Mine Nachtigall
Covestro
August 3, 2021
Leverkusen, Germany

Here in NRW, we spoke to researchers at Covestro who have been using carbon captured from steel gas mills to create sustainable plastics and foams for use in mattresses, car seats, and even shoes for Olympic athletes. 

Carbon capture is a controversial technological intervention into the earth’s atmosphere. On the one hand, many believe that we must urgently develop processes for removing CO2, either from the air, like the Orca Climeworks plant, or directly at industrial sites where fossil fuels are burned. Today, there is a growing start-up industry dedicated to finding new uses for captured CO2 with the goal of making it a valuable commodity and creating economic incentives for its air-born extraction. Companies like Covestro are using captured CO2 to produce foam, concrete and cement, ink and paints, diamonds, and even vodka.

RIVIERa RWTH Aachen
September 8, 2021
Aachen, Germany

We met with Stefan and Gabriele from RWTH Aachen who are working on a transdisciplinary project called RIVIERa to co-design the Reinisch region’s transformation together with community stakeholders and industry partners, as well as Zukunfstagentur (Future Agency), the organization selected by the government to organize the transition plan.

In addition to switching to renewable energy production such as wind or solar power and re-naturing former mine sites, some of the initiatives being explored as part of the 15 billion euros effort include: AI research parks, hydrogen production centers, quantum computing, new materials research and biotechnology. All in all, there are more than 70 initiatives being explored, many of them leveraging local expertise in mechanical and chemical engineering to develop solutions for improving energy efficiency and decarbonizing industry and manufacturing.

These initiatives include projects like Smart Urban Skin, a textile facade that could envelop buildings to generate electricity vertically and help reduce energy consumption.

The Kopernikus Power-to-X projects, which explore how to convert renewable electricity into plastics, fuels, gases, heat, chemicals and cosmetics. 

And Carbon2Chem, a project of ThyssenKrupp, which explores how to use CO2 emissions from the company’s steel production plants as raw material for new chemicals.